Familienprojekt Weihnachtsbaum kaufen

Hierbei könnte man annehmen, dass man als Vater die totalen Kompetenzen zur Ausführung dieser Aufgabe übertragen bekommt. Auf dem Papier ist dies auch so, aber jeder weiss: Es zählen die informellen Kompetenzen.

Es hatte erheblich geschneit, die letzten Sonnenstrahlen des Tages durchdrangen die schneebedeckten Tannen – die rurale Landschaft rund um unser Ferienhaus im tiefsten Jura glich einem Winterwonderland. Mein Vater zwinkert mir zu, eine Axt in der Hand, holt aus. Die kleine Tanne, welche unser Weihnachtsbaum werden wird, fällt in den Schnee. «Hoffentlich bemerkt der Förster nichts», sagt mein Vater, packt die Tanne am Stamm und wir bringen sie gemeinsam in die warme Stube.

Rückblickend scheint die Auswahl des Tannenbaumes vor dreissig Jahren keine grosse Sache gewesen zu sein (zumindest habe ich es so in Erinnerung).

Seither ist viel Wasser die Aare runter und im Zeitalter von Hardcore Veganismus, Social Media Paranoia und Hippesterli-Theater ist auch die Auswahl des Tannenbaumes zum Politikum geworden. Zudem ändert sich mit der Gründung der eigenen Familie auch die eigene Rolle beim Auswahlverfahren des Tannenbaumes: Als Kind bestimmten die Eltern, als Jungerwachsener interessierte einem der Weihnachtsbaum einen feuchten (Stichwort: Silvesterparty steht vor der Tür), als Vater ist man plötzlich in der Pflicht, den «schönsten» Weihnachtsbaum für die Familie zu besorgen.

Hierbei könnte man annehmen, dass man als Vater die totalen Kompetenzen zur Ausführung dieser Aufgabe übertragen bekommt. Auf dem Papier ist dies auch so, aber jeder weiss: Es zählen die informellen Kompetenzen. In der Realität will jedes Familienmitglied mitreden und jedes hat seine eigenen ganz klaren Vorstellungen vom «schönsten Tannenbaum».

Entsprechend komplex präsentiert sich die Aufgabe.

Aus der Erfahrung kann ich sagen, dass es beim Auswahlprozess zwei Ebenen gibt: Die objektive und die subjektive Ebene.

Bei der objektiven Ebene handelt es sich um Attribute wie Grösse (Höhe UND Breite), Farbe, Fülle (wie grün muss er sein?), Herkunft (egal, Europa, Schweiz, aus der Region, Hauptsache Bio), Sorte (Fichte, Blaufichte, Kiefer, Korea-Tanne, etc.). Es stellt sich auch die Frage, wo man den Weihnachtsbaum hinstellen will.

Natürlich ist diese Ebene nicht DIE Herausforderung, irgendwie kann man das auch als Eltern wie Erwachsene besprechen.

Zumal sich diese Punkte grundsätzlich im Vorfeld klären lassen. Bei der subjektiven Ebene handelt sich um das persönliche Empfinden, wie der perfekte Weihnachtsbaum aussieht. Es gibt keine konkreten Massstäbe, jeder hat seine eigenen Bilder im Kopf. Diese Ebene birgt entsprechend Zündstoff. Ein Merkmal ist dabei auch, dass sich die subjektive Ebene, im Gegensatz zur objektiven, spontan beim Durchschlendern des Tannenmarktes manifestiert. Oft werden dann die eigentlich beschlossenen Punkte der objektiven Ebene wieder über Bord geworfen. Soviel zur Theorie.

Dies wäre der Baum, den Papa C in die gute Stube stellen würde. Leicht ausgemergelt, wenig grün. Aber formschön und viel Luft zum Atmen (nein, nicht zum Behängen!)

Letzten Sonntag war es bei uns so weit: Wir würden am Nachmittag an den lokalen Weihnachtsmärit gehen, um unseren Weihnachtsbaum zu erküren. Nach der Mittagspause spielten wir entspannt mit den Kindern, als meine Frau ihren Blick vom Smartphone hebt und ganz erschrocken sagt: «Der Markt schliesst um 16.00 Uhr, wir haben noch 45 Minuten!».

Gigusiech, jetzt giz no Stress am Sunnti.

Um die Kinder zu motivieren, sich schneller anzuziehen, setzen wir bewährte und einstudierte pädagogischen Methoden ein: «Wenn ihr jetzt nicht pressiert, werden wir keinen Weihnachtsbaum haben.» Klappt immer. Jedoch scheint die Aufregung relativ hoch zu sein, denn eins der Kinder pinkelt kurz vor dem Losfahren in die Hosen. Ein denkbar schlechter Start für den bevorstehenden Härtetest.

Beim Markt angekommen geht’s wie erwartet los: «Ich will genau diesen Bau, sonst feiere ich keine Weihnachten» – das Kind. «Nein, der ist viel zu klein, ich will einen grossen!» – das Kind. «Nein, der ist zu wenig grün», die Frau. «Sicher nicht der, der ist viel zu buschig – dazu fällt mir nur too much Fastfood ein». Irgendwann interessierten sich die Kinder nicht mehr für die Auswahl.

Meine Frau nutzte die Gunst der Stunde und sprach ein Machtwort: «Den nehmen wir.» Amen.

Der Baum, den Papa C schlussendlich nach Hause schleppt, ist dicht, grün und formschön. Auch schön…

Die Auswahl des Tannenbaumes ist eine der vielen Sachen, die Weihnachten ausmachen. Als Vater ist es eines dieser vielen Dinge, die ich dank meiner Kinder wieder neu entdeckt habe. Es kommen vergessen geglaubte Erinnerungen an die eigene Kindheit auf, die mich zu Tränen rühren. Den heutigen Nachmittag habe ich als einzigartig und mit meiner Familie als tief verbunden erlebt. Den Tannenbaum kaufen – eigentlich eine einfache Sache, schon tausendmal gemacht und gesehen. Aber als Vater eben neu erlebt.

Nun freue ich mich auf das Schmücken des Baumes (obwohl auch hier die Ansichten weit auseinander gehen können), die Geschenke unter dem Baum zu sehen, das Anzünden der Kerzen und das Singen der Weihnachtslieder.

Teilen mit

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert