Kurz vor der Geburt – die letzten Tage oder Wochen

Woche 38. Tönt fortgeschritten. Ist es auch. Inzwischen wird die Bauchgrösse dem Stadium wieder gerecht. Mitleidige Blicke und Rückfragen im Rahmen der aktuellen Temperaturen sind Alltag.

Und obwohl die Anteilnahme wohl in keinem Stadium der Schwangerschaft grösser war als jetzt, selten fühlte ich mich damit so alleine.

Vielleicht sollte man die letzten drei Wochen vor dem offiziellen Geburtstermin als ‘präpartale Stimmungslage’ klassifizieren.

Mit 37 null ist das Ende greifbar. Und spürbar. «Der Bauch hat sich gesenkt», wagen manche zu sagen. «Ich glaube, ja», erwidere ich, grundsätzlich erfreut, aber unsicher. Hat sich der Bauch wirklich gesenkt oder war er nicht schon immer so? Sodbrennen hat nachgelassen. Spricht dafür.

Ich habe Wehen. Glaube ich zumindest. Bestätigen kann mir das niemand. Und ob die Wehen ernst zu nehmen sind, weiss ich auch nach drei Geburten nicht. Fragen kann ich auch niemanden. Sieht man ja nichts, fühlt man kaum was.

Ich bin der einzige Filter zwischen Geburt und Aussenwelt.

Ich bin auf mich selber zurückgeworfen.

So alleine, wie ich sein werde, wenn das Kind dann tatsächlich kommt. Da ist niemand, dem ich was abdelegieren könnte. «Halt mal kurz, bin grad etwas müde» oder «Fühl du mal, was denkst du?»

Alles Spekulation.

Und ich habe Angst. Vor dem Ungewissen.

So viel Unplanbares und so viele Unsicherheiten.

Wann werden die Wehen sich intensivieren? Wie lange wird es dauern? Was machen meine Kinder dann? Wird sich die Betreuungssituation gut ergeben oder wird alles desaströs?

Zu viele Gedanken. Klar.

Geht die Geburt mal los, lässt man los.

Doch das nützt mir aktuell nicht viel. Denn noch bin ich schwanger. Hochschwanger.

Nicht nur der Bauch ist gespannt, auch die Stimmungslage der Familie. Die Kinder sind grantiger als sonst. Streiten mehr als sonst. Und sind jeder für sich selbst genervt von der Welt. Und statt, dass ich die Ruhe hätte, die ich mir wünschen würde, bin ich der Ruhepol für alle, die sich rund um mich herum stressen.

Ich ertrage wenig Berührungen. Bin sofort genervt. Vieles ist mir zu viel.
Jeder möchte was von mir. Innendrin das Baby, das tritt und wächst und drückt und die Gebärmutter, die rupft und zerrt und mir was mitteilen möchte. Aussen die Kinder, die sich an mich drücken, weil sie spüren, dass dieses Baby mich beansprucht, dass die Geburt kommt und mit ihr eine Trennung. Dass das Baby kommt und mit ihm was Neues.

Lasst mich!

Flüstere ich häufig in mir drin. Manchmal schreie ich es auch. Wenn niemand hinhört, wenn ich nett formuliere, dass mir grad alles zu viel ist. Lasst mich!

Ich erinnere mich, dass die letzten drei Wochen der letzten Schwangerschaft ähnlich verliefen. Zwei Kinder – das fand ich ganz fest streng – ein Haushalt und ein Bauch mit Baby. Die Spannung sass in jeder Zelle. Ständig fragte ich in mich hinein, ob die Geburt denn nun endlich käme. Zwei Fehlalarme. Leichte Panik, weil alle meinten: «Achtung! Beim dritten Kind ist nochmals alles anders».

Ich warte ungerne. Ich warte ungerne in unbequemer Position. Ich warte ungerne, wenn ich das Handeln zwar planen, aber erst ausführen kann, wenn jemand anderer das Kommando gibt.
Ich warte auch ungerne, wenn ich nicht weiss, was mich erwartet.

Pränatale Stimmungslage ist der stotzigste Teil der Bergwanderung. Das letzte Stück, das einem nochmals alles abverlangt. Die letzte Hürde. Die grösste Herausforderung.

Schwangerschaftssatt, wie man ist, möchte man, dass endlich alles fertig ist. Raus mit dem Kind. Lasst mich wieder mich selber sein.

Obwohl – die leichte Wehmut schwingt mit.

Keinen Stupf mehr aus dem Bauch. Eine leere Hülle. Man gehört wieder sich selbst. Zumindest mehr als zuvor. Da ist wieder Platz, wo der Bauch war. Zum Atmen. Für die grösseren Kinder.

Es ist absehbar. Noch eine Woche bis ET. Allerspätestens in drei Wochen sind wir zu sechst. Und bis dahin versuche ich, so viel wie möglich zu geniessen. Und so wenig wie möglich durchzudrehen.

PS: Inzwischen ist das Baby da!

Bild: Vanessa Käser

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