Kinder aus dem Haus: Ich arbeite wieder.

Ihr Weg zurück in den Beruf ging über Minijobs und Drecksarbeiten. Marianne Plüss (59) hat den ungewollten Wiedereinstieg in den Beruf geschafft. Und dabei ganz ganz unten angefangen. Dieser Beitrag ist Teil einer Serie über «Vereinbarkeit Mamasein und Berufsleben».

Ein Wiedereinstieg nach den Mamajahren? Wann? Wenn die Kinder älter und selbstständiger werden? Wenn sie das Elternhaus verlassen haben? Oder überhaupt nicht erst aussteigen? Gar nicht wiedereinsteigen?

Wie Frauen sich auch entscheiden, welchen Weg wir auch wählen, es scheint nie so ganz richtig zu sein. Daran habe ich stets gelitten.

Praktisch wäre, mit einem Bein im Berufsleben bleiben zu können. Damit man später den Anschluss nicht verpasst, nicht wahr. Alles unter einen Hut zu bringen bleibt aber nach wie vor sehr herausfordernd. Ich habe es erfahren. Über Jahre auf verschiedenen Hochzeiten zu tanzen und meinen, überall das Beste geben zu müssen, war extrem anstrengend.

Ich habe noch nie einen Mann getroffen, der das alles gleichzeitig schafft und das von sich aus auf sich nehmen würde. Warum also meinen wir Frauen, das tun zu müssen?

Man hat selten ein absolut perfektes, optimales Umfeld, das einen Wiedereinstieg einfach macht.

Eine Berufstätigkeit neben Kindern und Haushalt braucht ein grosses Mass an Disziplin. Es braucht eine gute Organisation, Belastbarkeit, Durchhaltewillen und eine stabile Gesundheit. Es braucht einen Partner, der mitmacht und eine gute Kinderbetreuung. Es braucht kurze Arbeitswege und ab und zu die Unterstützung der Grosseltern.

Gerne sage ich deshalb denen, die denken, ich sei eine Karrierefrau und hätte das grosse Los gezogen:

Man kann nicht alles zur gleichen Zeit oder in der gleichen Lebensphase haben.

Zeit, Geld und Kraft reichen nicht immer gleichzeitig für alles.

Mein Wiedereinstieg war nämlich nicht geplant.
Ich hatte drei Kinder mit diversen gesundheitlichen Problemen und Lernschwierigkeiten. Von AHDS über Legasthenie bis Schwerhörigkeit. Ich hatte also genug zu tun und lief deswegen kräftemässig oft auf dem Zahnfleisch. Wir waren als Paar der Meinung, nach Aufzucht dieser Kinder hätte ich dann mein Lebenswerk getan. Ich würde mich dann auf den Lorbeeren ausruhen und mich im Kreise meiner Enkel sonnen können. Natürlich kommt es meistens anders. Ganz anders.

Die Not zwang mich zum Arbeiten.

Nicht die Geldgier, nicht die Karrieresucht. Es war die Angst, zum Sozialfall zu werden und das Haus verkaufen zu müssen, an dem wir alle hingen.

Mein Partner arbeitete in einer unsicheren Branche und war sehr spezialisiert. Er wurde immer wieder arbeitslos. Firmen hatten Kurzarbeit oder machten dicht. So fing ich an, abends die Schulbank zu drücken. Ich verbesserte mein Englisch und besuchte Computer- und Korrespondenzkurse. In meinem ursprünglich erlernten Beruf Textildesignerin gab es damals keine Möglichkeiten zum Wiedereinstieg.

Ich fing wieder ganz unten an. Unten. Sprichwörtlich. Im Dreck.

Ich ging wochenlang Erdbeerpflücken, um Taschengeld zu verdienen. Ob es regnete oder ob es heiss war. Obwohl ich mehrere Fähigkeitsausweise und Abschlüsse hatte, fliessend Französisch, Englisch und Niederländisch sprach.

Noch in der Dunkelheit krabbelte ich aus dem Bett, robbte auf Knien über feuchte Erde und war kurz nach sieben verschwitzt und verdreckt daheim, wenn mein Mann zur Arbeit musste. Später bekam ich zwei Minijobs in einer Brockenstube und bei einem Bioversand. Waren die Kinder nachmittags in der Schule, konnte ich dort einige wenige Stunden die Woche arbeiten.

Mein Mann wurde erneut arbeitslos. Durch eine Fügung und mit viel Glück bekam ich in dieser Zeit einen 90%-Job als Assistentin der Geschäftsleitung einer grossen Firma. Das jüngste Kind war vierzehn, die älteren in der Lehre. Ich war fünfundvierzig Jahre alt.

Es war eine enorme Herausforderung, aus dem geschützten Zuhause in eine intrigante, mir unbekannt gewordene Welt einzutauchen. Man erwartete viel, ich erreichte viel, machte Fehler, musste lernen, nicht allen zu trauen und verlor den Job wegen Intrigen und Eifersucht. Das war eine bittere Erfahrung, aber eine gute.

Es folgte ein 50%-Job als Sachbearbeiterin bei einer Maschinenfabrik. Für diese Arbeit war ich unbegabt und sie gefiel mir nicht. Trotzdem gab ich mir grosse Mühe, so dass keiner merkte, dass ich die Arbeit nicht mochte. Das brachte mir grossen Respekt ein und ich bekam ein tolles Zeugnis.

Wenn man Türen zumachen muss oder andere sie schliessen, geht immer irgendwo eine neue auf.

Ich kam nach Basel zu einer Stiftung, fuhr jeden Tag vom Aargau in die Stadt und zurück. Dort verwaltete ich mit einem 50%-Pensum über vierzig Wohnungen in vier Liegenschaften, organisierte, renovierte, war das Mädchen für alles. Nach einem Jahr kriegte ich zwei Job-Angebote und konnte auswählen. Jetzt war ich war fünfzig Jahre alt. Ich wählte aus und wechselte in eine Redaktion, wo ich immer noch als Assistentin mit einem 90%-Pensum tätig bin, um die durch Arbeitslosigkeit entstandenen Vorsorgelücken noch ein wenig auszubügeln.

Im Büro der Redaktion, wo Marianne seit fast zehn Jahren tätig ist.

Ich hatte Glück gehabt, die besseren Karten. Die waren mir nicht in den Schoss gefallen.
Ich habe Dreck und Niederlagen in Kauf genommen und dafür gebüffelt.

Mit drei Teenagern zu Hause, einem Haus und Garten musste ich gut organisiert sein.
Mir kam zugute, dass ich wenig Schlaf brauche.

Spätestens um fünf Uhr stand ich auf. Ich versuchte, sehr selbstdiszipliniert und organisiert zu sein und die eigenen Wünsche und Bedürfnisse zurückzustellen.

Ich wollte ALLES gut machen.

Ich wurde so erzogen, dass man «es» richtig macht. Dass man alles gut macht.
Den Haushalt, das Muttersein, den Garten, den Job, die Beziehungspflege. Meine Messlatte war ziemlich hoch. Sechzehnstundentage waren die Regel.

Ich wollte nicht, dass es hiess, ich würde lieber arbeiten gehen, statt mich ordentlich um die Familie zu kümmern.

Heute weiss ich – ich habe viel zu viel Wert auf die unwichtige Meinung von unwichtigen Leuten gelegt, die unsere Wege und Entscheidungen nichts angingen.

Das war ein Fehler. Es sollte für Familie stimmen, nicht für den Rest der Welt. Es war die Angst um das Ansehen, die Existenz, die Sorge um die Kinder, die mich angetrieben und mir Kraft gegeben hat, das durchzustehen.

Rückblickend überlege ich: Hätten wir die Arbeitsbelastung gerechter verteilen können? Das häufige Ungleichgewicht hat oft Konflikte ausgelöst. Vielleicht hätten wir selbst erste Überlegungen vor dem Kinderkriegen klären sollen. Wir hätten als Paar überlegen und besprechen sollen, wer dann was tut. Hätte es aber etwas gebracht?

Mit vielem, was dann kommt, rechnet man als junges Paar einfach nicht.

Egal wie gut man plant. Wie gut alles durchdacht ist. Es könnte trotzdem passieren, dass man nicht mehr dort weiterfahren kann, wo man aufgehört hat. Wie das bei mir der Fall war. Vielleicht muss man zuerst einmal auf Knien durch feuchte Felder rutschen. Ich bin jedenfalls froh und dankbar, dass wir nicht von der Sozialhilfe abhängig wurden.

Ein perfektes Familien- und Berufsleben, wo alles prima aufgeht, das gibt es kaum. Diese Illusion habe ich über Bord geworfen.

Was es aber für Mütter immer gibt, egal was sie tun, das ist ein Haufen Arbeit für wenig Geld oder gar keines.

Weitere Texte der Serie:

Janine Oesch: Sie ist, was keine sein will: Mutter und Hausfrau

– Rahel Iten: Mama auf Jobsuche. Die unendliche Geschichte.

– Evelyne Gutknecht: Alles unter einen Hut kriegen? Ich schaff das nicht.

– Simone Siddiqui: Wie lassen sich Familie und Beruf vereinbaren? Eine Jahresbilanz.

 

Bild: Rawpixel Unsplash

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