Im Bootcamp zuhause

Das Baby schreit. Ein Glück, denn inzwischen hätte ich vergessen, wo ich es abgelegt habe.

Ich renne herum wie eine Verrückte. Im Nacken ständig das «Go, Go, Go!»

Dazwischen bücke ich mich. «Nicht aufgeben!»

Oder mache einen Full-Stopp und renne wieder in die andere Richtung. «Atmen, achte auf die Atmung.»

Ich hebe Gegenstände unterschiedlicher Gewichtsklasse. «Haltung, Baby, Haltung.»

Pause? Fehlanzeige. Pause ist für Couch Potatoes. «Ausruhen kannst du, wenn du tot bist.»

Mein persönliches Bootcamp dauert 24/7. Der Preis ist heiss. Dieses Bootcamp kostet mir mein Privatleben. Aber es lohnt sich. Sage ich mir. Schliesslich habe ich das Glück, mein Haus mit drei wunderbaren Kindern und einem ebenso wunderbaren Vater der Kinder zu teilen. Und vielleicht, womöglich, erarbeite ich mir damit auch noch einen wunderbaren Body. Das Bootcamp ist: Mein Zuhause.

Mein persönlicher Drillmeister: Das Chaos.

Und keiner der «Sir, yes, Sir» aus dem Fernsehen kommt an das Chaos ran. Denn das Chaos schläft nie. Das Chaos ist überall. Das Chaos ist der Chuck Norris der Eltern. Oder besser: Die Hydra der Neuzeit. Griechischkundige mögen sich erinnern: Herkules schlägt der Hydra einer ihrer Köpfe ab und daraus wachsen zwei neue. Und so ein Ding befindet sich bei mir zuhause. Nur, dass es hier Chaos heisst.

Mein edler Kampf: Der Versuch, das Chaos in Schach zu halten. Gewinnen werde ich nicht. Aber ich bin um Gleichstand bemüht. Also renne ich. Mit dem Staubsauger (8,2kg) zum Staub. Dazwischen registriere ich den Befehl «Windelwechseln Baby». Stelle den Sauger hin, renne zurück zum Baby. Dann mit Baby (6,1kg) zu den Windeln. Mit Baby und Windeln zu den Feuchttüchern – wo sind die nochmal? Extratour. Anschliessend mit der vollen Windel (10kg) zum Windeleimer. Dazwischen bücken nach Kleidern, die aus mir unerfindlichen Gründen auf dem Boden verteilt rumliegen. Kleider in die einzelnen Kleiderschränke versorgen. Zurück zum Staubsauger. Fünf Minuten warmsaugen. Dann «Mama, Gagga», das zweite Kind. Es pressiert. Denn trocken ist es seit vorgestern, entsprechend unsicher die Lage. Ich spurte. Setze das Kind aufs Klo.

Im Badezimmer liegen Jasskarten über den Boden verteilt.

«Deine Challenge», brüllt das Chaos, «eins, zwei, drei».

Für jede Jasskarte eine Kniebeuge. Während ich das Jassspiel in den Spieleschrank zurücklege, registriert mein Auge die Kissen auf dem Boden. Bücken, werfen, Treffer: Das Sofa schaut wieder hübsch aus. Überhaupt, im Wohnzimmer regiere zur Zeit ich.

Doch es geht weiter. Das Kind ist vom Klo aufgestanden und hat versucht, sich selbst zu putzen. Es ist zweijährig. Sagt alles. Und sagt auch, wie es um die Feinmotorik des Kindes steht, was das Abwickeln von WC-Papier angeht. Genau.

Das Baby schreit. Ein Glück, denn inzwischen hätte ich vergessen, wo ich es abgelegt habe.

Ab ins Wickeltuch (plus 6,1kg). «Staubsaugen!» Und ich schwinge mit meinem geilen Mielestaubsauger, für den ich hier gratis Werbung mache, übers Parkett wie eine Tänzerin.

«Tick, tack, tick, tack.» Die Zeit, ich habe sie vergessen. In fünfzehn Minuten muss das Essen auf dem Tisch stehen, sonst bricht das Chaos aus. Haha. Tut es sowieso. In der Zeit nämlich, in der ich versuche, effizient (und trotzdem gesund und ausgewogen) zu kochen und die Kinder unbeaufsichtigt spielen dürfen. Dass K2 beschliesst, mir in der Küche helfen zu wollen, macht das Ganze auch nicht besser – im Gegenteil.

Jetzt ist das Chaos nicht nur draussen, sondern tritt mir direkt auf die Füsse.

Als endlich Mittagspause ist, die Kinder in die Zimmer verstaut, die Küche halbwegs aufgeräumt, das Obergeschoss gesaugt. Als der Wäscheständer abgeräumt ist, die Kleinstutensilien der Puppenstube vom Wohnzimmerboden in ihre angestammte Schachtel verräumt, eine benutzte Windel gefunden und entsorgt, K1 zweimal in die Mittagspause verabschiedet und das Wunschhörspiel gespielt wird, als ich endlich alle Pfannen weggeräumt und den darunterliegenden Kaffeebehälter mit frischem Kaffeepulver gefüllt und in die Maschine geschraubt habe. Als der Kaffee seinen Pausenduft verströmt und ich mir alle möglichen schokoladenhaltigen Kreationen bereitgelegt habe.

Ruft das Chaos (womöglich aus lauter Sorge wegen der Kalorienbomben): «Mamaaaaaaa»

K2 – muss nochmals aufs Klo.

 


Photo by Andrew Neel on Unsplash

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2 Kommentare zu “Im Bootcamp zuhause

  1. Hallo Sisyphus
    Wie gut ich dieses Gefühl kenne (auch K 1-3).
    Es wird besser!
    Genau – einfach Stress unter Sport abbuchen, so fühlt man sich gleich positiver..
    So toll und witzig wie du deinen Alltag beschreibst!

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