Grosse Kinder, grosse Fragen

«Mama, habt ihr überhaupt noch Sex? So richtig geilen Sex?» Erwartungsvoll guckt mich mein Sohn, der bald Vater wird, an.

Und jetzt, liebe Leute, was wollt ihr hier lesen? Auf was seid ihr geil? Dass ich gleich in Ohnmacht gefallen bin? Dass ich knallrot wurde und vor Verlegenheit ins Stottern geriet? Dass ich ihn angeblafft habe, dass ihn das überhaupt nichts angeht?

Alles falsch.

Bevor ich den Mund aufmachte, stellte ich mir vor, wie das gewesen wäre, wenn ich diese Frage meiner Mutter gestellt hätte. Sie wäre ganz bestimmt gnadenlos entsetzt gewesen. Sie gehörte zu der unaufgeklärten Generation, der man nichts sagte. Einfach nichts. Die Kinder hätten ja sonst auf dumme Gedanken kommen können. Sie würden irgendwann von selbst drauf kommen, dachte man. Spätestens in der Hochzeitsnacht.

So manche Frau hatte bis dahin vom Geschlechtsakt keinen blassen Schimmer.

Wundert uns, dass die Hochzeitsnacht dann zum traumatischen Erlebnis wurde, die Braut aus dem Haus heim zu den Eltern rannte und unter Tränen bat, sie von dem frisch angetrauten Unhold zu retten?

Die Frage kam völlig unerwartet und direkt, so dass mir als erste Reaktion nur Lachen einfiel. Denn nie tun sich Eltern und Kinder so schwer, wie dann wenn es um Sex oder das elterliche Vermögen geht. Das sind Themen, die irgendwie heikel sind.

“Warum willst du das wissen?”, lautete also meine spontane Gegenfrage. Denn seit wann interessieren sich junge Leute für das Sexualleben von Eltern? Eltern und Senioren gelten doch als asexuell.

Kinder wollen sich normalerweise ihre Eltern nicht beim Sex vorstellen.

Sie finden das eklig. Der Gedanke, dass sie selbst das Produkt eines solchen Aktes sind, ist vielen Kindern unangenehm und peinlich. Ausserdem – Kinder müssen grundsätzlich nicht alles wissen. Sie sagen uns ja auch nicht alles. Wir Eltern dürfen also auch unsere Geheimnisse haben.

Im Verlauf des weiteren Gesprächs merkte ich, dass es ihn wirklich ehrlich interessiert – wie das Leben eines alternden Paares ist. Dann, wenn das Haus leer geworden ist und keine Kinder mehr stören, wenn man alle halbe Jahre mal wieder kuscheln will.

Ja, wie ist das Leben eines in die Jahre gekommen Paares?

So wie bei Millionen anderen Paaren auch. Nach einem anstrengenden Arbeitstag trifft man sich vor dem Fernseher, um dann die Nacht in getrennten Betten zu verbringen. Weil man das Schnarchen des Partners nach dreissig Jahren gesundheitlich nicht mehr erträgt.

Mein Sohn, machte dir also keine Illusionen. Nach vielen Ehejahren und einer Horde Kindern geniesst man den Freiraum und die Ruhe. Man hat zwar noch Sex. Hin und wieder. Ich erspare meinen Lesern gerne die näheren Details.

Man hat gelernt, dass man nicht stirbt, wenn man keinen Sex hat, aber verhungern, verdursten und verarmen kann.

Man schätzt es mehr, Liebe, Respekt, Zuwendung, Fürsorge und Aufmerksamkeit zu haben und zu bekommen. Diese Dinge werden irgendwann wichtiger und wertvoller als den erlogenen Statistiken zu glauben, dass der schwer arbeitende Schweizer mindestens drei Mal die Woche Sex hat. Ungeachtet seiner beruflichen Belastung und des Alters. Alles Quatsch.

Aber – wie ist es jetzt also mit dem Sexualleben einer Senior-Mama? Eines Senior-Papas? Tja, man hat ausprobiert, was man ausprobieren wollte, praktiziert, was man praktizieren wollte, und irgendwann hat man alles gesehen und findet es nur noch anstrengend. Vor allem die Mamas. Sie haben jahrelang geschält, geputzt, gerüstet, geschnippelt und gekocht, gewaschen, gebügelt, eingekauft und den Job bewältigt.

Irgendwann hat man von allem genug gehabt. Von allem.

Das ist dann der Augenblick, wo eine köstliche Tafel Schokolade, die man sich liebevoll teilt, prickelnder ist, als sich auszuziehen und sich vom Alter gezeichnete Dinge anzusehen, die abtörnend sind. Das ist dann der Moment, wo es schöner ist, die andern wunderbaren Dinge, die die Schöpfung uns bereit hält, zu geniessen. Sei das gemeinsam ein Glas Wein zu trinken, einen Ausflug zu machen, sich einen netten Film anzusehen oder ein Buch zu lesen, als sich gegenseitig die Kleider vom Leib zu reissen. Man könnte sich ja den Arm auskugeln, den Oberschenkelhals brechen, einen Scheidenkrampf kriegen, und dann müsste der Krankenwagen kommen und man müsste sich erklären…

Es beginnt die Ära, wo man Zeit für zahlreiche noch viel wundervollere Dinge hat, als einfach nur Sex.

Dinge, die nachhaltiger sind, und die man mit dem Nachwuchs nicht tun konnte – reisen, häkeln, Wachteln züchten, Hortensien pflanzen, jodeln, Salsa lernen, ein Buch schreiben oder endlich Finnischunterricht nehmen. Und dann, ja dann sind da noch die ungeborenen Enkel, für die muss man sich noch ein wenig fit halten.

Senior-Mamas, die endlich Ruhe fürs Jodeln haben möchten, sollten ihrem Senior-Partner Ablenkung verschaffen, falls er mehr Probleme damit hat, sich nur geteilter Schokolade oder Wachteln zu widmen. Man schenke ihm daher eine Modelleisenbahn, ein Riesenpuzzle, ein Motorrad, eine Kamera, Zwerghühner oder eine Gitarre.

Mein Sohn, sei nicht so leichtgläubig wie andere Männer es manchmal sind. Mach dir besser keine Illusionen. Erwarte nicht wer weiss was. Glaube bitte keiner Statistik, die das Sexualleben des Schweizers auswertet.

Es wird nie so schamlos gelogen wie bei Umfragen zum Sexualleben.

Geniesse einfach das Hier und Jetzt.

Bild: Toa Heftiba | Unsplash

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Ein Kommentar zu “Grosse Kinder, grosse Fragen

  1. Treffen zwei alte Männer auf einander. ‘und, wie läuft das Sexleben?’ fragt der eine. ‘Wunderbar’ sagt der andere, ‘wir kriegen jedes Jahr ein Enkelkind’.

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