Aller Anfang ist Stillen

Dieser Text ist auch in unserem Buch drin.

Kaum auf der Welt, wird einem das Baby auf die Brust gedrückt. Wo es dann liegt und schreit. Oder auch nicht schreit. Fest steht: Irgendwann in den ersten zwei Stunden Leben ohne Fruchtwasser und ohne Nabelschnur muss es seine erste Erdenmahlzeit geniessen.

Kolostrum, nennt sich das Produkt, welches die Brüste dem Neugeborenen in diesem Moment zur Verfügung stellen. Eine wahre Wunderwaffe der Natur. «Nährstoffe in kleinvolumiger, konzentrierter Form», wie Wikipedia beschreibt. Quasi Astronautennahrung für Babys.

Da liegt nun also das eben erst geborene, noch in Käseschmiere gekleidete Wesen und versucht, diese kleinvolumige Masse irgendwie aus den Brustwarzen zu saugen. Und damit:

Herzlich Willkommen zum kolostrophalen Kampfstillen.

Denn es ist beileibe nicht so, dass Babys mit jenem angeborenen Saugreflex zur Welt kommen, der dann auch eine ausreichende Nahrungsaufnahme sicherstellt. Natürlich gibt es die Streber unter den Neugeborenen, bei denen koordinativ von A bis Z alles zusammenpasst, wie die Faust aufs Auge oder eben, wie der Babymund auf die Brustwarze. Doch all die andern, die zwar erahnen, wie es funktionieren könnte. Denen aber Koordination oder Charakter eine effiziente Nahrungsaufnahme verunmöglichen – das sind die, die ihren hormongeschüttelten Müttern alles abverlangen.

Denn es steht geschrieben: Das Baby muss trinken. Und wenn es das nicht tut, dann werden bald ganz viele Leute am Baby und den dazugehörenden Brüsten rumdrücken und versuchen, das kleinvolumige Kolostrum irgendwie in den Babymund hineinzupressen.

Gemessen wird der Erfolg von Baby-Mutter-Gespann in Gramm. Dabei kämpfen Mutter und Baby auf verlorenem Posten. Denn naturgemäss saust das Gewicht eines Neugeborenen erstmal in den Keller. Und die Natur mit Kolostrum aufhalten zu wollen ist, als würde man versuchen, die Niagara Falls mit einem Biberbau zu stoppen.

Es gilt entsprechend das kleinstmöglich erreichbare Ziel einzuhalten, nämlich die 20% Erstgewichtsmarke nicht zu unterschreiten.

Denn das ist die rote Linie. Die Grenze, die nicht überschritten werden darf. Der Point of No Return. Spätestens nach zwei Tagen Stillversuche, in denen das Baby zwar saugt, aber eben, kleinvolumig. Allerspätestens dann kommen die Pflegefachpersonen und weisen auf eben jene Linie hin. Noch 150 Gramm spatzig, noch 100 Gramm spatzig.. ein fast unaufhaltsamer Rückwärts-Countdown.

Nein, Stillen ist nicht spassig. Stillen ist Sport.

Auch für das Baby, dessen erste Stillversuche gleichzeitig das Training der Saugmuskulatur sind, die – je nach Baby – erstmal aufgebaut werden muss. So dass es nach drei, vier Zügen entkräftet abhängt und danach wie ein Fisch auf Land vergeblich nach der vor ihm platzierten Brustwarze schnappt. Herr im Himmel, so viele Schweissausbrüche und Schübe hatte ich das letzte Mal, als ich mein letztes erstes Date hatte.

Es wäre gelogen zu sagen, dass mit dem Milcheinschuss (und damit Kolostrum ade) alles besser würde. Im Gegenteil. Wenn das kolostrophale Stillen der Mont Blanc war, dann ist der Milcheinschuss nicht nur optisch der Mount Everest: Brüste und Stillen in extremis.

Es wäre auch gelogen zu sagen, dass damit alles gesagt ist. Und dass nach dem Mount Everest ein Spaziergang auf der grünen Aue folgt, durch den fröhlich und unaufhörlich ein Bergbach plätschert.

Das einzige, was man sagen kann ist: Milchstau, wunde Brustwarzen und weiterhin schlecht trinkendes Baby sind durchaus mögliche Zukunftsszenarien.

Daher ein Hoch auf die goldene Salbe und die Lasertherapie. Quarkwickel und Coolpads. Babys, die trinken, als ob es keinen Fencheltee mehr gäbe und Hebammen, die nicht nur fachlich, sondern auch emotional auf der Höhe sind.

Und wem bei diesem Beitrag das vielgepriesene Glück in der Stillbeziehung fehlt, der sei darauf hingewiesen, dass sich das spätestens dann einstellt, wenn man sich im Supermarkt die Preise der Schoppennahrung anschaut.

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